Unteilbar Parallel von Heiko Daxl | 1994
Antal Lux und die Kunst des Video

"Du sollst das Alte lassen, den alten verbrauchten Leiertant,
Du sollst die Zeit erfassen."

(aus IDENTITÄT; 1991) - Video von Antal Lux)

Bereits in unserer Schulmathematik haben wir gelernt, daß die Begriffe Unteilbar und Parallel eindeutig Widersprüche darstellen, da per definitionem nicht kongruent. Spätestens seit der Infinitesimalrechnung wunderten wir uns, daß die Projektion eines Punktes in die Unendlichkeit zu einer Fläche werden kann. Und nach Einsteins Theorien und der fundamentalen Veränderung der Begriffsgebäude ist unser praktisches Vertrauen in die Kategorien der elementaren Wissenschaften erschüttert und wird täglich immer mehr erschüttert.

Die Wissenschaften transformieren allmählich das herkömmliche Bild unseres Universums in ein komplexes System von Interdependenzen, die sich nicht nur dem allgemeinen Verstehen und den Begriffsfindungen entziehen, sondern auch an den Grundfesten der absoluten Beweise von Mathematik und Physik rütteln. Der Zufall, dynamisch-sprunghafte Entwicklungen, Instabilität oder ganz allgemein der Übergang von Ordnung zum Chaos sind Synonyme für diese Konfusion, einer Art Heisenbergscher Unschärferelation der Kausalität. Wir haben heute den Zustand der Welt als gewaltiges Labor erreicht, weniger kontrolliert als unkontrolliert.
Begriffe wie Illusion, Vorstellung, Schein und Sein verlieren ihre Unterscheidungsgrenzen, die Objektivität der Sicht und der Erklärung hängt ab vom Axiom des subjektiven Standpunkt.
Aber nicht aus dieser Konfusion der Begriffe (dies war nur als Einstimmung gedacht) heraus ist der überschriebene Titel gemeint, sondern aus der speziellen Persönlichkeit des Antal Lux, der in seiner Kunst scheinbare Widersprüche in den Berufsbezeichnungen Maler, Graphiker, Bildhauer, Videokünstler und besonders Mensch zu einer unteilbaren Parallelität seiner Identität verschmelzt.

Nach seiner Flucht (auch Thema einer gleichnamigen Videoarbeit von 1983) aus Ungarn nach dem niedergeschlagenen Aufstand der Revolution von 1956 kam er zunächst nach Süddeutschland, wo seine künstlerische Ausbildung und sein späterer kreativer Werdegang begann. Schon seit dieser Zeit gilt seine Aufmerksamkeit nicht nur der Perfektion in einer Disziplin, nicht nur der Konzentration auf einen Ausdruck; hier beginnt bereits seine Suche nach einer Einheit in der Vielfalt der Darstellungen.
Das Changieren zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, zwischen den Statischen und dem Bewegten, seine eigene Geschichte als Grenzgänger zwischen Ost und West, die Unterschiedlichkeit der erlebten Gesellschaftssysteme, all dies gibt Hinweise auf eine Polarisierung und ein "Zwischen den Stühlen sitzen" im Leben und Werk von Antal Lux.
Es findet sich keine Schublade oder keine Kategorie, in die man ihn stecken könnte, denn seine Arbeiten verlangen nach Auseinandersetzung.
Keine Fahne, vor der er salutieren würde, also macht er seine eigenen und bleibt dabei immer ein Grenzgänger zwischen den Disziplinen und ein Verweigerer der bequemen Ordnung.
Er hat nicht Amt und keine Meinung, sondern Antal Lux ist ein unbequemer Unordentlicher, jemand der, nach dem Kratzen an der Oberfläche der Ordnung, der entdeckten Unordnung eine neue Form und einen neuen Inhalt zu geben versucht. Er schaut nicht durch die Brille der Klassifikationen, bezieht vielmehr Stellung und gibt persönliche Interpretationen, die sich wohltuend von der gegenwärtigen Inflation der Antworten abhebt.
Denn er will keine endgültigen Antworten geben, sondern vielmehr eine Debatte mit Fragen nähren. Er paart dabei technische Beherrschung mit skeptischen Reflexionen und nicht zuletzt einem gehörigem Schuß Humor.

"Von einem bestimmten Punkt aus, gibt es kein Zurück. Diesen Punkt gilt es zu erreichen." (Franz Kafka in FRAGMENTE 1993) Die Anfänge der Beschäftigung mit dem bewegten Bild datieren ab dem Ende der Siebziger Jahre. Einfache optische Phänomene waren es, die ihn anregten, zunächst mit Super-8-Film und später mit Video zu experimentieren. Vielleicht war der Eindruck von in Reihe gepflanzten Weinstöcken in Südungarn, die sich in seinem ersten Videoband SEQUENTIA von 1981 wie die Seiten eines Buches abblätterten, ein erster Gedanke, in Richtung seiner späteren "erzählenden" Videos.

In KONTENANCE ODER GUTE HALTUNG IN SCHWIERIGER LAGE, einer Videoarbeit aus dem Jahre 1983 beschreibt er kurz und mit einfachen Mitteln prägnant die Diskrepanz zwischen seinen persönlichen Bildschöpfungen und den Konventionen und des Erbes der Filmgeschichte. Er "scheisst im wahrsten Sinne des Bildes auf diese Konventionen und behauptet so seine Haltung in dieser schwierigen Lage. Die frühen Videoarbeiten, die noch wie Etüden zunächst ein neues Medium umkreisen, sind allerdings nicht nur die Rite de Passage vom "klassischen" Künstler im traditionellen Sinne zum Künstler des "Bewegten Bildes", sondern erlauben bereits Vorausblicke und sind programmatisch für die weitere Entwicklung.
Als Videokünstler ging er durch keine Schule für Video, sondern erwarb Schritt für Schritt seine technischen Möglichkeiten und erweiterte sein gestalterisches Vokabular. In den frühen, meist graphisch-abstrakten Arbeiten, entwickelte er seine Formsprache, die zwar seinen bisherigen künstlerischen Hintergrund offenkundig belegen, aber bereits stark ein Eingehen auf die zeitliche Ebene erkennen lassen.

Die frühen Arbeiten der Achtiger Jahre sind eine direkte Übertragung grafischer Prinzipien auf die zeitlich, bewegte Ebene.Vielfach eine überblendende metamorphotische Zeit darstellend, spielt der Ton im Vergleich zu den späteren Arbeiten eine eher noch nebensächliche Rolle. Beispielsweise in HYDROGRAFIK (1986), wo eine in den Sandstrand gezogene Linie immer wieder von den Wellen überspült wird, also im Moment der Entstehung wieder auslöscht wird bzw. in einen anderen Aggregatzustand übergeht und sich auch dem gesetzten Rahmen immer wieder entzieht bzw. ihn sprengt.

CHOREOMANIE (1983) zeigt in nur einer einzigen statischen Einstellung einen Tanz von Reißzwecken. Die sehr sparsam eingesetzten Sujets erscheinen in immer neuen Formationen und scheinen sich durch die Mittel der rhythmischen Überblendung zu vermehren.

Die Arbeit TRANSIGENZ aus demselben Jahr ähnelt zunächst dem vorherigen Video im puristischen Einsatz der Mittel und ist ebenso statisch in der Einstellung und kommt auch ohne einen einzigen Schnitt aus. Schwarze Gebilde, die wie Eisenspäne aussehen, bewegen sich über den Bildschirm, scheinen sich mal abzustoßen, mal anzuziehen, hinterlassen Spuren. Zusätzlich unternimmt Lux noch manuelle Eingriffe durch Akzentuierung von Flächen durch Bleistiftschraffuren.

MANIPULATION (1984) nimmt den Begriff in seiner zweifachen Bedeutung, einmal als Hand -oder Kunstgriff und zum zweiten als Veränderung oder Beeinflussung, sehr wörtlich und zeigt in eindrucksvoller Weise nichts anderes als die Manipulation des geschriebenen Wortes Manipulation.

Eine Art Film/Videoperformance ist MESSER AUF DEM HALS DER NATION (1982). In Ungarn auf dem Lande gedreht, werden aus einer Schar weißer Gänse, diejenigen ausgewählt, die später als Braten enden sollen. Die ausgewählten Tiere werden in den Farben der ungarischen Flagge eingefärbt, gerupft und schließlich geschlachtet. Momenthaft werden die verschiedenen Stadien gezeigt. Schnellgeschnittene Sequenzen, wechseln ab mit Überblendungen. Diese Parabel über Herrscher und Beherrschte brachte ihm nicht etwa den Zorn der ungarischen Behörden ein, sondern eine Zensur durch den internationalen Tierschutzverein, während einer Aufführung in Venedig.

Sowohl GRIMASSE (1983) als auch SEELENWANDERUNG (1983) gehen beide vom selben auf Film aufgenommenen Bildmaterial aus. Beide sind auch Portraits seiner Frau Zsuzsa Dobai-Lux. Im ersten Video verfremdet er durch malerische Aktion und verschiedene Linsen und Spiegel. Das Band wirkt durch die Benutzung von verschiedenen Geschwindigkeiten und Stoptricks einerseits slapstickhaft, durch den Ton ergeben sich anderseits Anklänge an asiatische Masken oder Chinesische Oper. Das zweite Video löst quasi impressionistisch das Gesicht seiner Frau auf in vage Konturen, die eine Metamorphose durch ständige Überblendungen darstellen.

In KLAVIERSTUNDE, einer kurzen minimalistisch-abstrakten Arbeit aus dem Jahr 1989 läßt er auf den Tasten einer Klaviatur seiner tachistischen Spielfreude freien Lauf und löst ein kurzes Musikstück für Piano in eine Folge von schwarz-weiß-roten Formen und Bewegungen auf.

HYPNOSIS (1993) wiederum liefert den Beweis, daß er sich nicht von der Faszination des Mediums hat hypnotisieren lassen, sondern betont die Notwendigkeit der Wachsamkeit und der verantwortlichen Entscheidung. "Das Bedürfnis sich von aller Tätigkeit und jedem Zwang zu verantwortlicher Entscheidung zu befreien. Da dieses Bedürfnis nicht bei allen Menschen gleich entwickelt (oder erhalten geblieben) ist, lassen sich manche leicht, manche nur oberflächlich, andere überhaupt nicht hypnotisieren." Hörspiele bildeten einen Schwerpunkt seiner Arbeit von Mitte der Achtziger Jahre bis zum Ende der Dekade. Doch sind die Videos aus dieser Zeit nicht nur Illustrationen der Vorlagen, sondern eigenständige Bearbeitungen, die auch die zugrundeliegenden Geschichten der Hörspiele nicht unangetastet läßt, sondern als Rohstoff betrachtet und dekonstruiert. Frei nach Goethe im Faust "Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch etwas denken lassen" entstehen aus der Neuanordnung der Elemente von Tonvorlage, gekoppelt mit seinen Bildkonstruktionen, fragmentarische Geschichten und Momente aus geschichtlichen Fragmenten.

IM FAHRSTUHL ZUM PROMETHEUS (1986) zur musikalischen Komposition von Heiner Goebbels und Texten von Heiner Müller probierte er dies das erste Mal. So wie Prometheus die Ordnung der Götter in Frage stellte und durch seinen Eingriff den Existenzwillen der Welt und der Menschen manifestierte, so greift auch Antal Lux hier in den Lauf der Dinge ein und befreit sich durch seine Version der Interpretation vom Korsett des vorgegebenen Kontextes. Wie im vorherigen Video wieder auf der Grundlage derselben Autoren, besticht VERKOMMENES UFER (1987) durch unkonventionelle Heraushebungen und die Diskontinuität von Bild und Ton. Die Wiederholung von Sequenzen und die radikale Verfremdung von "dümpelnden Gedanken in schlammigen Uferzonen, vom Strandgut toter Gedanken und vom Hirnlaich" entwirft ein düstere pessimistische Szenarien und Weltbilder als Metaphern von Medeas Innen -und Außenwelt. Am Schluß bleibt die Frage: ist diese Welt, diese "Landschaft mit Argonauten" Meine Welt, Deine Welt ?
Antal Lux liest die Texte quer, bricht den Fluß der Worte und der Musik und koppelt alles zusammen mit seinen Videobildern zu nicht notwendigerweise linearen Metatexturen. "Mir kommt es nicht darauf an, mit dem Medium Video ein Hörspiel zu illustrieren, vielmehr möchte ich mit meiner Auffassung als bildender Künstler die Geschehnisse in bewegten Bildern darstellen, sodaß es eine selbständige Form annimmt."

DAS GRASS WIE´S WÄCHST (1988) ist die freie Interpretation von Franz Mons gleichnamigen Hörspiel. Weder der Text noch die Bilder erzählen eine Geschichte, sondern sind Wechsel und Schwingen von inszenierten Bildern mit aus der Umgebung gegriffenen und dokumentarischem Material. Konkrete Momente, collagierte Bilder und historische Ereignisse werden herausgehoben, ineinander verschränkt und überblendet zu fragmentarischen Einheiten ? Die Tonebene als Neukomposition ist wesentlicher Bestandteil der Gesamtarbeit und hat eine eigenständige Kompetenz.

MAO´S BIBEL (1990) drückt wieder seine grundlegende Skepsis und seine tiefen Zweifel gegenüber jedweden totalitären Gesellschaftssystemen und den Paradigmen ihrer Propheten und Helfer aus. Wie Schillers Forderung "Man soll die Stimme wägen" wird der Inhalt von Mao´s kleinem roten Buch unter die kritische Lupe gelegt und visuell sarkastisch kommentiert. Die Videobilder greifen Fragmente von Phrasen und unsinnigen Sätzen des Großen Vorsitzenden auf und verdichten sie zu einer neuen Einheit.

Zum Text von Wolf Wondratschek beschreibt WEISSER FADEN (1992) Stationen einer Autofahrt von Stuttgart nach Berlin. Der Fahrer Paul "sieht verschiedene Dinge, denkt verschiedene Dinge und denkt an verschiedene Dinge", die in Momentaufnahmen flüchtig auftauchen, während oftmals Text und Bild weitauseinandergehen, um sich dann in komplexen Beziehungen doch wieder zu treffen. Bild und Ton spiegeln einen vorgeblich unzusammenhängenden Vorrat von Gedanken und Bildern auf dem weiterführenden Band der Straße. Immer wieder berühren sich die Ebenen, haben gemeinsame Blickpunkte und manchmal deckungsnahe Schlußfolgerungen, trotzdem bleibt der Eindruck verschiedener Fahrtstrecken und Haltepunkte. Als jemand, der erfahren hat, daß Bilder und Texte im ökonomischen wie im emotionalen die Macht haben uns zu täuschen und zu blenden, zu erfreuen und zu erheben, beobachtet er wachen Auges die Welt. Dieser Zweifel an den Wahrheiten der Bilder läßt ihn Fragen stellen, wie durch Bilder und Worte die Welt sich definiert, wie wir verführt werden durch die Erscheinungen und die Rollen, die wir einzunehmen oder nicht einzunehmen haben. Er ist sich der Dialektik des Sehens und Hörens sehr wohl bewußt und übernimmt Verantwortung in einem erweiterten Sinn seines Selbstverständnisses als Künstler. Das Tun und die Reflexionsbildung treten in Wechselbezüge, die neue Qualitäten eröffnen.

MAUERLÄUFER (1991) hat die Berliner Mauer zum Thema und benutzt sie gleichzeitig als Projektionswand für ein Pas de Deux. Zwei Figuren tanzen ein Ballett zu Stationen der Geschichte, die mit der Teilung der Stadt verbunden waren. Die Mauer als ständig präsentes Symbol der Teilung, die das Leben und den Alltag in der Stadt bestimmte, war darüberhinaus auch immer eine Art Wandzeitung, eine Artikulationsebene auf der jeder, der etwas mitzuteilen hatte, seine Sprüche oder Graffities hinterließ, die wiederum als ein lebendiges Meinungsbild von anderen weiterkommentiert wurden. Solch ein Kommentator ist auch Antal Lux. Das Ereignis des Mauerfalls war ebenfalls ein großes Ereignis für und in den Medien, die es als Spektakel weltweit übertrugen. Antal Lux schlägt in seiner Sichtweise als jemand, der die Geschichte miterlebte, leisere Töne an und gibt damit einen offenen Raum zum Weiterdenken.

Den Wandel der Vorstellungen, die bestimmt sind durch Kultur, Traditionen und Staatsordnungen lotet IDENTITÄT (1991) aus. Diese Vorstellungen und die Rollen, die der Einzelne in der Gesellschaft einzunehmen oder zu spielen hat, sind es, die die Identität bestimmen. Die Öffnung des Eisernen Vorhangs hat viele Vorstellungen und die auf Vorstellungen basierenden Gedanken -und Ideologiegebäude einstürzen lassen. Momenthaft werden noch einmal Stationen der deutschen Geschichte der letzten 50 Jahre vorgeführt und als Phänomene einer sich wandelnden Welt beleuchtet, als Beispiele vom Wandel der Identität auch des Einzelnen.

HAMMELSTERBEN (1992) ist nochmals ein Rückblick auf die Geschichte der Mauer in Berlin. Das Graffiti "Die Verrückten sind alle auf der anderen Seite" nimmt Antal Lux zum Anlaß, die Geschehnisse der 30 Jahre in denen die Mauer mit seiner Rekompilation von Fernsehgeschichte aus der DDR. Der Bau, der Stolz, die jubelnden Politiker, der Treueeid der Staatssicherheit und das Sterben für den Staat werden durch den videotechnischen Fleischwolf gedreht, in ihre Einzelteile zerlegt, neu zusammenkomponiert in vibrierende Montagen, die den letzten Odem der Geschichte aushauchen.

Von seinem Titel her doppeldeutig ist FALLGESCHICHTE (1992), da es sich als Memoriam sowohl auf die Ereignisse während des ungarischen Volksaufstandes 1956 gegen die kommunistische Ein-Parteien-Regierung, als auch auf die persönliche Geschichte des Autors bezieht. Doch anders als in seinem sehr persönlichen Video DIE FLUCHT (1983), deren Ende und Ziel noch ungewiß waren, ist offensichtlich im neueren Video der Fall für ihn abgeschlossen. Während im Zentrum der älteren Arbeit seine eigene Person steht, dargestellt durch hektische Bilder eines Fliehenden verfolgt durch die Kamera, so werden in der neueren FALLGESCHICHTE "Erfahrungen herausgearbeitet, die für ähnliche Situationen in vielen anderen Lebenslagen aufschlußreich sind, auch wenn die Einzelheiten jeweils etwas anders aussehen."

Wie bereits an anderen Beispielen erwähnt, ist Antal Lux auch ein Neugieriger, der seinen Blick schärft für die Zeit und die Umstände in den er lebt und arbeitet. So geht er in 1/61 CHAMISSOPLATZ, einer Arbeit aus dem Jahr 1993, in seiner nächsten Umgebung, in seiner unmittelbare Nachbarschaft auf eine subtile Spurensuche. Er betrachtet die Welt vom Atelierfenster aus, den Horizont bildet das kleine Karree mit seinen Häusern und Menschen drumherum. "Man muß nicht hinaus ins feindliche Leben." Seine Montage aus Text, Sprache, alten Fotografien und Filmausschnitten wechselt mit dem Mann von nebenan, der, mit der Bierdose in der Hand, schwelgend Geschichte(n) erzählt. Zeitfenster werden geöffnet und Erinnerungen brechen auf, Neugier, die Angst vor dem Einbruch des Fremden und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Lux läßt sich und dem Betrachter Zeit beim Sehen und beim Hören und verwebt Ton -und Bildebenen zu einem korrespondierenden Ganzen. Die fallenden Scherben, das heimliche Beobachten des Gegenüber, das Laub im Wind und die tanzende Betrunkene und vieles anderes mehr sind die Zutaten des Kosmos, den er hier entwirft. Wie das gute Essen, welches er sehr schätzt, sind auch hier die Ingredienzien opulent wie ein Landmal in Ungarn. Doch beschreibt der Ungar Lux hier nicht auch seine Identität als Berliner ?

Aber schon in der folgenden Videoarbeit aus dem selben Jahr BERLIN-MITTE, weist er selbstbewußt daraufhin, in der Aufzählung der Metropolen der Welt auf Plakatwänden in der zentralen Berliner U-Bahn-Station, seine Geburtsstadt Budapest nicht zu vergessen.

FRAGMENTE (1993) benutzt als musikalische Grundlage die Komposition von György Kurtag "Kafka Fragments" und gibt dem geschriebenen Wort den Vorzug gegenüber dem gesprochenen. Aphoristische Textfragmente werden in die Sequenzen eingeblendet, die, wie geflügelte Bilder, selbst zu visuellen Aphorismen werden. Assoziationen über die phänomenale Welt, die in der Wahrnehmungserwartung teilweise korrespondierend, dann aber auch wieder kontrapunktisch sind. Das gut zehnminütige Video ist wie ein melancholisch-skeptischer Abriß von Stationen der letzten Jahre und bleibt in der Interpretation für den Betrachter weit offen. DER EID, eine Arbeit aus dem Jahr 1994, zeigt die Paraden und das Pathos der DDR und den Eid auf die Republik, aber auch den Aufstand des 17. Juni 1953 , den Bau der Mauer in Berlin und das Andenken an die getöteten Flüchtenden. Die Form der Bilder erscheint wie die Splitter, die entstehen, wenn am Ende des Videobandes ein Monitor (lateinisch für Überwacher) zerschlagen wird. Schemenhaft und zerstückelt tauchen die Bilddokumente auf vor dem Hintergrund des Weißen Rauschens und den Bilstörungen des Vergessens.

GELÜBDE aus dem selben Jahr komprimiert DEN EID auf gute Minutenlänge. Ein Spinnennetz, in dem noch zwei zarte Federn hängen, überlagert die Bilder der letzten Flüchtenden vor dem Mauerbau, das Gelübde an die Deutsche Demokratische Republik; Szenen, die wie aus dem Buch der Geschichte herausgerissen wirken. Wenn im Gelübde der Wille und die Bereitschaft betont werden, den Staat gegen die Feinde von Außen zu verteidigen, so ist es eine bittere Gewissheit, daß am Ende nur die Gräber der Maueropfer bleiben, also derjenigen, die versuchten diesem Staat zu entkommen und dies mit dem eigenen Leben bezahlten.

Die Monitor-Objekte LEUCHTE MEIN STERN LEUCHTE, DIE WAFFE DES PROLETARIATS IST IM SANDE VERLAUFEN und "THE TIMES, THEY ARE CHANGING" setzen sich in ironischer Form mit den Medien und der Vermittlung der politischen Botschaften der vergangenen kommunistischen Staaten auseinander. Geblieben sind die leeren Gehäuse der Fernsehapparate mit zersprungenen Mattscheiben auf denen sich die Botschaften nicht mehr abbilden können. Stattdessen sind wie in der Arbeit "THE TIMES, THEY ARE CHANGING" die Informationen des neuen Universums (Markenname des in der Mattscheibe steckenden Magnetbandes) eingedrungen und haben Ruinen hinterlassen, auf deren Trümmern die Symbole der einstigen kommunistischen Systeme sich noch in labilen Postionen halten. Wie ein Nachhall der Geschichte sind die Hymnen und Heldengesänge der großen Zeiten gerade noch leise aus den Lautsprechern der Geräte vernehmbar. Auf den weißen Podesten wirken die Monitor-Objekte wie Artefakte aus vergangener Zeit, die jedoch eigentlich das parallele Universum vor garnicht langer Zeit noch abbildeten. Doch mit den politischen Systemen verschwinden deren Repräsentanten und damit auch deren Abbilder. Durchgängig können wir sowohl in seinen Videos und seiner Malerei immer wieder auf Anzeichen einer gegenseitigen Beeinflussung, Ergänzung und Befruchtung stoßen.

Die Entwicklung und Transformation eines Gedankens durch die verschiedenen Medien ist evident. So entdecken wir seine Gestik in den MONITORFAHNEN ab 1990, die die serielle Abfolge von Videosequenzen aufgreifen und in die Stabilität eines Nebeneinander überführen. Die Collagierungen und Schichtungen von gefundenen Materialien und der individuellen Über -und Bearbeitung sind in seinen Bildern, Grafiken und Drucken, als auch in seinen Videos als Formprinzip zu finden. Wie ein Skulpteur modelliert er seine Videobilder, legt Hand an und macht sie so ergreifbar. Wie in den flüchtigen, Bildern seiner Videos, taucht das Vergängliche und Momenthafte auch immer wieder in seinen Bilder und Grafiken auf. Wie etwa in PROSZENIUM (1989) wo die auf Video festgehaltene Stationen seines Lebens das Ausgangsmaterial für die späteren MONITORFAHNEN bilden.

RUHELOS (1994), wieder basierend auf der musikalischen Komposition von György Kurtag ist eine Fortsetzung der FRAGMENTE. Wie das frühere Tape, hat auch diese Arbeit eine tief philosophische Grundstimmung. Es fragt nach der Bestimmung des Individuums, das rastlos ist in dieser Welt, aber keine Möglichkeit hat, sie zu verlassen. Das Band wird nicht zerreißen. Auch wenn die Schatten des Mannes (Zbigniew Karkowski) größer und größer werden, so kann er dem Boden, an den er gebunden ist, nicht entschweben. Ekstase (John Duncan) mag als ein Entkommen wirken, ein Eintreten in andere Sphären. Aber ist nicht schon das Andere existent in unserer Realität ? Es gibt den Lebensweg für jeden von uns. Wir können nicht beiseite treten, sondern müssen ihn mehr taumeln als schreiten. Auch wenn die Frau (Zsuzsa Dobai) den Stein so weit wie möglich wirft, ist diese Distanz auch nur ein Schritt. Was geschehen ist, ist geschehen, immer zu spät zu bereuen. Der Lebensweg des Einzelnen ist Aufgabe und Herausforderung.

Sprechen wir nun ein wenig über die Philosophie in der Bibliothek der Bilder. Antal Lux verwendet seine Szenen und Bilder nicht nur ein einziges Mal, vielmehr legt er sie ab in einem Bildarchiv, um sie bei passender Gelegenheit wieder in anderen Zusammenhängen zu benutzen. Dies ist möglich, da seine Sammlung zu einer Art Bibliothek von Ikonen komuliert, die Bedeutung und Inhalt in sich selbst tragen und die erweiterte Gegenwart des Darstellten repräsentieren. Die Szenen und Bilder sind daher nicht nur an eine bestimmte Stelle in einem Video gebunden, sie treten aus der einen möglichen Linearität der Anordnung heraus und haben eher den Status von Zitaten, die in anderen Kontexten wieder ihren Platz finden können. Sie sind wie Module, für sich selbst visuell stark und als eigenständige Komposition anzusehen und bieten doch Gelegenheit an anderer Stelle als wichtige Elemente der Montage neu in Erscheinung zu treten.
Lux sieht es selbst als "die Fähigkeit, Erfahrungen und Kenntnisse zu behalten und sich bei Bedarf wieder an sie zu erinnern. Unsere Gedächtnisinhalte sind nach Assoziationszusammenhängen aufbewahrt," und umschreibt so das Spektrum seiner möglichen formalen und inhaltlichen Kombinationen und Rekombinationen. Seine Bild-Elemente weisen also auf eine Polyfokalität im freien Umgang mit seinem Fundus hin. Gelegentlich verzichtet er aber auch gänzlich auf eine visuelle Ebene, wenn er Worte oder Textfetzen in den Raum stellt und es dem Betrachter überläßt, sich ein Bild zu machen.

In GLOSSOLALIE (1991) geht er dem Phänomen des Zungenredens auf die Spur, der Artikulation in zusammenhanglosen oft unverständlichen Sprachfetzen, wie es manchmal in Zuständen der Ekstase oder in Fällen von Shizophrenie vorkommt.
Diese Äußerungen wurden in vielen Kulturen als göttliche Eingebung, oder bei Besessenheit als Sprache des Teufels gedeutet. Das Video selbst ist nicht nur ein Kommentar zu seiner persönlichen Arbeitsweise, sondern auch eine Zustandsbeschreibung einer umsichgreifenden Konfusion im Deutschland nach der Wiedervereinigung.

"Im Streit zwischen Dir und der Welt, sekundiere der Welt." (Franz Kafka in FRAGMENTE (1993)
Diese Welt mit ihren persönlichen Geschichten und Umfeldern ist es, in der es sich Antal Lux nicht bequem macht, sondern in deren Terrains er sich beobachtend bewegt, die er fokussiert und für sich (und andere) auf verschiedenen Pfaden ohne in starre Gesichtspunkte zu verfallen, erobert und zugänglich macht.
Er ist Teil dieser Welt, in der er sich durch seine Arbeiten wiederspiegelt.
Nicht das vermeintlich Objektive ist im dabei im Sinn, vielmehr eine Art seine Schlüsse zu ziehen; somit ein radikaler Konstruktivismus, der ihn abseits von Formalismus und ausgetretenen Wegen die Essenzen der Wirklichkeit immer wieder neu finden und erfinden läßt.

Er partizipiert und lebt in der Welt, die er beobachtet und beschreibt und ist daher als Person nie aus seinen Werken wegzusubtrahieren, denn sie sind nie absolut und objektiv zugänglich, sondern immer beobachter-relativ.
Und auch, wenn alle seine Aktivitäten und Gesten in parallelen Medien und Techniken scheinbar nebeneinanderhergehen, so sind sie doch letztendlich der Ausdruck von verschiedenen Facetten im Mosaik der unteilbaren Künstler-Persönlichkeit Antal Lux, der trotz oder gerade wegen seines breiten reifen Werkes die Frische des experimentellen Zugangs und damit der immerwährenden Herausforderung bewahrt hat.
Seinen Arbeiten liegt kein Plan im Sinne eines Schemas zugrunde, aber ein Plan im Sinne einer erfindenden Schöpfung.

Heiko Daxl | 1994