Fort-Bewegung von Sybille Weber

zuerst erschienen in "Signale", 1996

     
 

Den eigenen Ort zu reflektieren und Raum für den Betrachter zu schaffen, ist eine schwierige Gratwanderung. Wer sie unternimmt, muss sich vor den Fallstricken des Erzählens und und Deutens hüten.
Die Kunst besteht gerade im Beharren auf der Vieldeutigkeit, letztlich vielleicht sogar auf der Unergründbarkeit. Maler arbeiten daher mit Chiffren, die sowohl Spur einer persönlichen Handschrift als auch Teil einer universellen Sprache sind. Gelesen werden solche Chiffren in Momenten der Ruhe, der Absonderung (im Museum), womöglich aber auch in einem zeitlichen Dazwischen.
Eine Zufahrt bietet der Wahrnehmung eines jeden einen solchen idealen Assoziationsraum.
Antal Lux´ Tape "Dash - Gedankenstrich" (1996) formt daraus eine visuelle Erzählung wie einen Gedankenstrich, der zwei Punkte verbindet. Diese zwei Pole in der videografischen Welt von Antal Lux sind Geschichte und Gegenwart als visuelles Gedächtnis.

Geboren 1935, teilte Antal Lux das Schiksal anderer, inzwischen ebenfalls international anerkannter, Künstler aus Ungarn wie Gusztáv Hámos oder Gábor Bódy. Als junger Mann verliess er Ungarn 1956, im Jahr des vergeblichen ungarischen Aufstands gegen die stalinistische Staatsmacht, und flüchtete nach Deutschland.
In Stuttgart erfolgte an der Akademie der bildenden Künste von 1960-1965 im Studium der Malerei und Grafik seine künstlerische Ausbildung zuletzt mit der speziellen Förderung des Landes Baden-Württemberg. Noch während des Kalten Krieges in den 70er Jahren übersiedelte Antal Lux dann nach West-Berlin, wo er seither als freischaffender Künstler lebt und arbeitet.

In Ungarn selbst ist Antal Lux seit Mitte der 70er Jahre durch Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen gegenwärtig. Zuletzt präsentierte die Budapester Kunsthalle im April dieses Jahres eine umfangreiche Retrospektive seiner Videobänder.

Das Leben und die Situation in der geteilten Stadt Berlin, der Schnittstelle von Ost und West, spiegelte auch geografisch wohl am ehesten den inneren Zwiespalt des Emigranten Antal Lux zwischen ungarischem Heimatland und tatsächlicher deutscher Lebenswelt wider, einem Wandern zwischen den Kulturen, das sich wenig später auch als Wechseln und Mischen äusserst unterschiedlicher Kunstgattungen manifestieren sollte.

Während sich -beeinflusst von Künstlern wie Nam June Paik und der Fluxus-Bewegung- in den 70er Jahren auch in Deutschland eine breitgefächerte Videokunstszene zu etablieren begann, fügte Antal Lux seiner Arbeit mit Bildhauerei, Grafik und Malerei erst Anfang der 80er Jahre Video als neues Medium hinzu.
Seinen künstlerischen Gestus veränderte er dabei jedoch nicht: Antal Lux ist ursprünglich Maler, und so "malt" er auch mit der Kamera, die ihm erlaubt, von der Statik des gemalten Bildes zurückzutreten und seine komponierten Bilder durch Zeit und Bewegung zu dynamisieren.
So flirren in "Lichter der Nacht-Lyriden" (1982) bunte Licht-Schlangen arhythmisch zu monotoner Synthesizermusik über einem schwarzen Hintergrund, als sei dieses Licht-Spiel mit einem optischen Pinsel teils in expressiver, teils in aquarellähnlicher Manier skiziert.
Dagegen weisen frühe strukturelle Studien wie "Sequencia" (1981) und "Koreomanie" (1983) schon formal-ästhetische wie ironische Aspekte der späteren Videos von Antal Lux auf.
So "tanzen" in "Koreomanie" zu einer ungarischen Volksweise "Titan"-Reisszwecken in den ungarischen Nationalfarben einen metallenen Reigen.
"Sequencia" dagegen erscheint wie ein Spiel mit der Zenralperspektive. Während sich das Tempo einer Kamerafahrt entlang lineargerader Reihen kahler Bäume in einer verschneiten Landschaft erhöht, der Blick mal vorwärts, mal zurück, auf die Bäume zu oder von ihnen weg getrieben wird, die Richtung und Perspektive verschwimmen, scheint sich dennoch alles um einen zentralen Punkt im Bildhintergrund wie eine Art Karussell zu drehen.
Konstant ist in dieser "natürlich-winterlichen Erstarrung" nur die Bewegung selbst.
Dieses Band, wie auch das spätere "Hydrografik" (1986), dynamisiert formale Strukturen. Spätere politische Videos von Antal Lux dynamisieren dagegen komplexere Gebilde aus dem Geflecht von Geschichte und Individuum.
Die Komplexität und Wiedersprüchlichkeit ihrer Beziehung visualisiert und befragt er mit dem videografischen Vokabular von Fast- und Slowmotion, Bild-, Text- und Toncollagen, kurzen Bildsequenzen, Überblendung, schnellen Schnitten und Kamerafahrten.

Fort-Bewegung als persönliche, traumatisch-existentielle Erfahrung thematisiert das autobiografische Band "Die Flucht" (1983), das Antal Lux fast zehn jahre später noch in einer zweiten Version erarbeitet hat.
Es trägt den Untertitel "In memoriam Ungarn 1956". Hubschrauber, Radargeräte, Stacheldraht, Wachhunde, Schüsse - per Monitor (lat. Überwacher) verfolgt man im Band "Die Flucht" einen einzelnen Flihenden, der über mal milchiges, mal rötliches Gras durch die Feuerlinie hastet.
Durch die Übereinanderblendung verschiedener Bildebenen wie vom Einmarsch der russischen Panzer, Toter, Soldaten und der unterdrückten Bevölkerung scheint es, als würde dem Flüchtenden tatsächlich der Boden unter den Füssen wanken bzw. entzogen. Eine aggressive Soundcollage aus Panzergerassel, Gefechtsgeräuschen, Radiosendungen und Sprachfetzen, aus der nur einmal das Wort "Zeit" deutlich herauszuhören ist, treibt den Flihenden auch akustisch voran.

Gegen diese persönlichere künstlerische Aufarbeitung der Flucht stellt, wie schon der Titel anzeigt, die überarbeitete Version des Tapes "Fallgeschichte" (1992), ebenfalls mit Originalfilm und -Tonmaterial von 1956, weniger deutlich das persönliche Schicksal, sondern exemplarischer das individuelle Drama im historischem Kontext in den Vordergrund.

Nach der politischen Umbruchsphase in Deutschland 1989, in der vor allem ja auch Ungarn eine entscheidende Rolle gespielt hat, quittiert und kommentiert dagegen "Maos Bibel" (1990) ironisch-sarkastisch mit leichter Heiterkeit den Bankrott des Totalitarismus in Osteuropa.

Diese weltpolitische Wende verwandelt den Exilanten zum Angekommenen, fordert vom Grenzgänger eine neue Auseinandersetzung mit seinem aktuellen geograpfisch-geschichtlichen Ort. Während das Band "1/61,Chamissoplatz" (1993) an einem Mikrokosmos die Situation von Ausländern in der deutschen "Heimat" überaus melancholisch reflektiert, rekapituliert das Tape "Identität" (1991) deutsche Geschichte vom 3. Reich bis zur Entwicklung der Staatssysteme in Ost und West.
Symbol dieser Differenz war die Berliner Mauer. Graffitis, Satzfragmente, flapsige Anmerkungen zur Geschichte und privates Gekritzel dokumentiert eine Kamerafahrt entlang dieser steinernen Bild- und Textrolle. Grafisch-animierte Figuren tanzen durchs Bild und auf alten Aufnahmen erscheinen die Grenzposten der DDR wie Kafkaeske Wächter.
"Die Dummen sind immer auf der anderen Seite" lautete ein Graffiti. "Drüben" ist zwar immer nur eine Frage des Standpunktes, ohne Mauer aber existiert dieser Ort nicht mehr.
Die individuelle Biografie verwebt Erlebnisse, Wissen, Bilder, Sprache und Töne im Gedächtnis zu einer Art von Clustern, komlexen Gebilden, deren Elemente man assoziativ verbindet und aufruft.
Während das Gedächtnis im Erinnerungsprozess einzelne Teile nach und nach vergegenwärtigt, visualisiert die poetisch-assoziative Erzählweise von Antal Lux´politisch ausgerichteten Videocollagen immer wieder Geschichte als komplex Geschichtetes.
Dabei entstehen stets neu "unscharfe" Bilder, doch hat ihre vermeintliche Unschärfe als Folge solch historischer Synopsen ihre besondere Qualität: In der Überlagerung ohne Zentralperspektive entsteht zwischen den Segmenten Raum für den Betrachter, um den eigenen Ort zu reflektieren.
Positionsbestimmung nicht als (ein)mischende Annäherung, sondern als extreme Distanznahme bedeutet auch Antal Lux´Band "Flugangst" (1996).

In der Entspannung nach dem kalten Krieges spürt es weniger politisch, als psychologisch den Phänomenen Furcht - als Reaktion auf direkte Gefahr - und Angst - als Antwort auf eine unbestimmte Bedrohung - nach. Beim Blick aus der externen Höhe eines Flugzeuges scheint die Welt - in einer raumzeitlichen Täuschung - stillzustehen. Fortbewegung ist nicht direkt wahrnehmbar, während jedoch unsichtbare Kräfte - ob Antrieb, Gravitation oder Geschichte - weiterwirken.

Sybille Weber | 1996