Die Frei-(Ungebunden-) heit der Zeichenwelt, 2005
Über Antal Lux - etwas umfassender als üblich

     
 

Es gibt sowohl in der Wissenschaft wie in der Kunst (und es wird sie immer geben) von Zeit zu Zeit aufkommende modische Theorien, die über einen durchaus beträchtlichen Wahrheitsgehalt verfügen. Es ist jedoch keineswegs sicher, dass sie imstande sind, sämtliche Phänomene auf diesen Gebieten abzudecken. Ein eigenartiger und dank seiner anziehenden Naivität stetig wiederkehrender Gedanke ist, dass die Arbeiten der alternden, bzw. alten Künstler von einer gewissen Melancholie umflort seien, die – schließlich entspricht es ihrer biologischen Natur - aus der Zukunft (woher sonst?) entstammt. Die Erfahrung jedoch verweist auf zahlreiche entgegengesetzte Beispiele. Wir kennen viele solcher alterlosen Künstler, deren schöpferische Laufbahn bis ans Ende von heftiger Lust an der Erneuerung, von steter Inspiration und unermüdlicher Arbeitswut zeugt. Würde ich also versuchen Antal Lux mit einem einzigen Wort zu charakterisieren, ohne dem zweifelhaften Anspruch des Schubladisierens zu verfallen, so würde ich das Adjektiv jung wählen, auch wenn es mit dem Erreichen des siebzigsten Lebensjahrs, einige bedenkliche Nebengeräusche erzeugen könnte.

Was rechtfertigt diese Wortwahl? Es ist vor allem diese ungezügelte Experimentierfreude, welche seine ganze Laufbahn bestimmte. Sie ist charakterisiert durch die sensible Art in wechselnden Stilen zu arbeiten sowie deren Reaktionen aufeinander, was nicht bedeutet, dass Antal Lux modische Strömungen imitiert, sondern vielmehr das kritische Erforschen eines Zeitgeistes - was ebenso wichtig für seine eigene schöpferische Individualität ist. Es bedeutet auch die Berücksichtigung des Wechsels und der Veränderung (metaphorisch könnte man es sogar als Revolutionen betrachten), der Akzentverschiebungen der vergangenen sieben Jahrzehnte - und es verweist auf die Vielzahl der Experimente und Ansätze, die bekannte oder neu entdeckte Medien in den Vordergrund der Visualität, der visuellen Mitteilung rückten, die sie zugleich zum Gegenstand und zum Mittel seiner Kunst werden ließen. Ich spreche von visueller Mitteilung, denn in seinem Fall können wir sein Interesse nicht auf das Gebiet der im traditionellen Sinn verstandenen bildenden Künste beschränken. Wenngleich für seine schöpferische Lust die Graphik, die Malerei und die Bildhauerei in gleicher Weise Möglichkeiten boten (und bieten). Dass er trotzdem in jedem Augenblick fähig ist, sich aus diesen Sphären zu lösen (in denen er sich bei weitem nicht mit traditionellen Werken bemerkbar machte), ist aus Sicht der Aktualität, der kontinuierlichen Erweiterung der künstlerischen Freiheit wesentlich: die Zuwendung zum Film, zum Video, zur Videoinstallation, überhaupt zu den elektronischen Anrufbeantwortern, scheint nicht nur logisch, sondern einer Gesetzmäßigkeit zu gehorchen, als Folge seiner unaufhörlichen Suche, seines unstillbaren Durstes nach neuen Ausdruckmöglichkeiten. Eines muss ich aber umgehend festhalten: Gleich welches Medium er als Gegenstand und Mittel (und es gelingt mir nicht, die beiden zu trennen, denn die künstlerische Einwirkung zielt auf beide) seiner Arbeit wählen sollte, er erweist sich in allen Fällen als Künstler, sodass ich nicht einmal die Einschränkung machen könnte, ihn interessiere allein die reine visuelle Erscheinung.

Es ist vielmehr die Struktur des Anblicks, in der Lux das strukturelle Wesen der Welt zu sehen und zu sehen lassen wünscht - vor allem das Wesen der veränderlichen Welt. Der Verfolgung dieser Ideen entspringt die Aktualität seiner Arbeiten. Das Ergebnis, das Lux'sche Werk, ist in allen Fällen ein mediales Konzentrat, es sind inhaltliche/formale Interventionen, die alle Medien umfassen und in miteinander in Beziehung setzen.

In Kenntnis des oben Gesagten ist sein Angezogensein, sein sich erneuerndes Interesse am Zeichen und an Zeichensystemen eine logische Folge. Die ästhetische Anschauung der Welt beschäftigte eine Vielzahl der grossen Denker des Mittelalters, welche ihre Auffassung notwendigerweise in Richtung der Zeichen und ihrer Systeme lenkte. Thomas von York - zum Beispiel - formulierte an einer Stelle so: mondus totus est rotondus, obricolatus et decenter factus, decorusque, das heißt: die Welt ist kugelrund, kreisförmig, schön geformt und graziös. Die Annäherung an diese Welt ermöglichen die entsprechenden Zeichen (Allegorien, Symbole). Auf diesem Gebiet bildeten sich die Fundamente der mittelalterlichen Ästhetik aus, welche sich ihrer normativen Ansprüche nicht schämte. Danach erschien die Welt für lange Zeit weniger geheimnisvoll, man vergaß sogar, dass unsere alltäglichsten Mitteilungen mit Hilfe eines äußerst umfassenden Zeichensystems zustande kommen, bevor sie ihre Adressaten erreichen. Das sprachliche Zeichen, als Basis menschlichen Denkens (“die Sprache ist das Haus des Seins" - zitieren wir Heidegger bis zur Langweile) geriet aber seit etwa anderthalb Jahrhunderten wieder in den Vordergrund. Die Aufdeckung seiner Natur lehrt uns, dass es auf die Systeme anderer Zeichen ausdehnbar ist, eben so, wie es auf die verschiedensten Systeme - von der Volkskunde bis zur Mode - ausgedehnt und angewendet wurde. Die visuellen Zeichen - wir sahen es beim Menschen des Mittelalters - sind ebenfalls Nachrichten/Datenträger. All das kann vielleicht suggerieren, dass das Wesen der Welt in Zeichen versteckt ist - und die Zeichen haften fest an ihr. Man könnte sagen, die Zeichen sind Geheimnisträger - und gleichzeitig bilden sie die Schlüssel zu eben diesen Geheimnissen.

Wenn Lux den Charakter der visuellen Zeichen ergründet (auf einzelnen Bildern treffen wir auf minimale Zeichen, ein andermal setzt er gefundene Zeichen in seinen Kompositionen ein), dann bedeutet diese Zeichensetzung nicht nur pures Registrieren, sondern durchaus die Prüfung ihrer Brauchbarkeit und der Möglichkeit der bildlichen Formgebung.

An dieser Stelle gilt es, ein Missverständnis aufzuklären, nämlich, dass das experimentelle Werk ein nicht ganzes und fertiges, sondern ein offeneres Werk als das Übliche (d.h. als das traditionell Kanonisierende) ist, in seiner Aussage also ärmer, auf alle Fälle aber beschränkter ist. Dadurch, dass der Experimentierende seinen schöpferischen Gegenstand und die Natur seiner Aussage gleichermaßen als Teil des Werkes betrachtet, kann durchaus eine Bereicherung und das Aufdecken neuer Schichten entstehen. Das macht die Stärke der Arbeiten von Antal Lux aus. Wenn ich von diesen Aspekten spreche, dann will ich sogleich auch seine technische Versiertheit, die Sicherheit der Formgebung und des Geschmacks, als unerlässliche Bedingungen erwähnen. Der künstlerische Wert ist keineswegs eine Frage der Abbildung (figurativ) und der Abstraktion (non-figurativ). Lux bewegte sich mit eleganter Vertrautheit durch das figurative Komponieren - eine Stärke, die in seinem frühen Interesse an der Pop Art begründet lag. Ohne Bedauern trennte er sich von dieser Phase und stürmte in die Abstraktion, als er spürte, dass ihm diese abstrakte Ausdrucksweise eher entsprach. Er zögerte auch nicht, von der Geometrie zu kosten (ein bedeutender Teil seiner plastischen Arbeiten gehören in diese Periode). Als Filmemacher und Videokünstler musste er wiederum einer anderen Zeichenwelt entgegensehen. Seine bildkünstlerischen Projektionen in diesem Bereich, die sogenannten “Monitorfahnen" oder Computergraphiken, tragen auf markante Weise den Ursprung dieser anderen Zeichenwelt in sich. Für seine Stilsicherheit könnte es keine spektakuläreren Beweise geben.

Schon von einem einzelnen Werk erwarten wir - übrigens mit Recht -, dass es uns eine ganz neue Welt aufdeckt. Noch mehr können wir dies von einem Lebenswerk erwarten. Es hat also nichts Befremdliches oder Überhöhendes, wenn wir sagen: Antal Lux verfügt über ein Lebenswerk. Kein abgeschlossenes Lebenswerk, dass würde nicht zu diesem Künstler passen, der, ausgesprochen-unausgesprochen, die Offenheit zu seiner ars poetica gewählt hat. Denn diese Offenheit ist das Symbol seiner künstlerischen Freiheit. Das im Titel in Klammern Gesetzte zeigt hoffentlich die Frivolität, mit welcher dieser Künstler überhaupt zu seinen Vorstellungen steht.

Wir können diese Grimasse - schlage ich vor - als Gewähr für den freien Geist in der ironischen Selbstkontrolle auffassen.

László Fábián